Häuptling Silberlocke und seine Squaw IV. Teil

Ein Traum

Montag, 03.02.2003 ein grüner Container irgendwo im Arbeiterviertel eines Chemieunternehmens.

Schreie und Schluchzen dringen aus den Senfgelb verqualmten Eingang, ab und wann hört man das für Stromschläge typische >>brrrz!<< mit abgehacktem Flehen, Zutz läuft voller Mitgefühl durch den Raum. Holly läuft, Notizen auf seinem DINA3-Board machend, an den ersten verschiedenen Stahlverschlägen vorbei, hinter denen sich die Kammern für die ärmsten der armen Kollektivmitglieder verbergen. Dort wird ihnen liebevoll Strom induziert oder auch einfach nur mal so zum Spaß jeden Freitag der längste Einlauf angediehen. Kopfschüttelnd bleibt Holly vor einer Tür mit dem Schild "Heiratsunwillig" stehen.

Ein sehr schwieriger Fall. Schwere Stahlbarren klacken ehrfürchtig im Stahlverhau zurück, als Holly den roten Knopf auf seiner Universal-Fernbedienung drückt, womit er auch kostenlos den Süßigkeitenautomaten im Aufenthaltsraum entleeren oder seinen Anrufbeantworter abhören konnte.

Innen erwartet ihn ein grauenhaftes, Mitleid erregendes Bild: inmitten kleiner Figürchen aus Pizzaresten und haufenweise zerknüllter Zettel sitzt ein kleiner, in seiner Zwangsjacke erbärmlich wirkender Haufen Elend. Es ist Silberlocke!

Sein starker Wille, uns keinen Termin zur Ehelichung von Claudia zu nennen, führte ziemlich schnell in die sanften Hände unserer Pflegeabteilung für besondere Härtefälle. Wer meint das Kollektiv so zu hintergehen können, der muss damit rechnen, dass die schwarze Kollektiv-Minna plötzlich quietschend hinter ihm bremst, und ein chloroformgetränktes Tuch extra für ihn in der Tasche hat.

Das Überzeugungsgespräch:

Holly brüllt Silberlocke, der mitten im Raum sitzt, an: "Na, mein Kleiner, Heiraten oder Heiraten, haben wir es uns überlegt und wie geht es dir?"

Silberlocke lacht über seinen kleinen Kalauer, während er wild mit angezogenen Knien herumwippt und dabei eine zweiköpfige Pizzarestefigur umstößt.

Plötzlich erschrickt Silberlocke fürchterlich: "AAAAAAAH! Ah! Ja! Nein! Ich meine! Gut! Ja, gut geht es mir! Wirklich! Ich habe in den letzten Stunden an gar nichts anderes gedacht! Wirklich!"

Holly (in seiner liebenswert freundlichen Art): "Natürlich hast du an nichts anderes gedacht! Du bist ja auch in einer Zwangsjacke mit stetig gerichtetem Blick auf einen Monitor wo dir fortlaufend Hochzeitsbilder gezeigt werden."

Silberlocke verfolgt Holly mit seinen wild starrenden Augen.
Silberlocke: "Nein! Bitte nicht!"

Holly (säuselnd): "Doch, doch und immer wieder doch!"
(Drückt einen Knopf auf der imRaum stehenden Tastatur, der Bildschirm zeigt die Traumhochzeit-Startseite!)

Silberlocke (wimmernd): "... neiiinnn... ähhähäääähäääää ...naaaahiiiiiiinnnn ....ich will nicht wieder die neuesten Sendungen sehen müssen..."

Holly (erhebt drohend die Fernbedienung): "Doch! Du wirst müssen! Du weißt ja, was sonst passiert, nicht?!"

Silberlocke (sitzt pfeilschnell aufrecht): "Ja! Ich weiß! (schluckt) Gut weiß ich das!"

Holly: "Na also. Geht doch. Also, schaun wir mal!"
(Holly scrollt die Titelseite herunter)
"Na sieh mal an! Heute ist ja Montag. Eine neue Lovestory! Sieh an, sieh an, wird sicher lustig! Los! Anschauen!"

Silberlocke beginnt zu schauen, bis er nach langen , medizinischen Aussetzern wieder zu Bewußtsein kommt.

Silberlocke: "...ach so, na klar. Jaja."

Holly: "Und was machen wir jetzt?"

Silberlocke schweigt, fängt wieder an, unkontrolliert zu wippen.

Silberlocke: "Wir...wir....machen....ei...n...en...An...trag..."

Holly: "Na! Was haben wir das letztemal beim langen Einlauf gelernt?"

Silberlocke erschrickt fürchterlich und zerdrückt beim Zurückhüpfen eine weitere Pizzarestefigur. Denkt dann aber angestrengt nach.

Silberlocke (devot): "Ähh... wir haben... gelernt, dass ich unbedingt Heiraten muss, dem Kollektiv einen Termin nenne und nicht immer meinen Dünnpiff übers Ehelichen verbreite, nur weil ich ein kleines Hirn aber ein großes Ego habe! Richtig?"

Holly (gnädig): "Rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrriiiiiichtig! Na also, das war doch schonmal gar nicht schlecht! Wird ja!"

Silberlocke beginnt zu zittern. Schweißperlen bilden sich auf seiner Stirn. In einer plötzlichen spastischen Bewegung hüpft er mit der Nase voran auf die Computertastatur zu.

Holly seufzt lange.

Holly: "Oh je. So wird das nie was, mein kleiner Heiratsunwilliger! Also noch mal von vorn!

Süddie beginnt abgehackt zu schluchzen.

Süddie: "Nein! Ich will wieder brav sein! Nichts unanständiges mehr von mir geben! Bitte nicht von vorn!"

Holly (energisch): "Doooocchh! So lange, bis auch du kleiner Grenzdebiler es kapiert hast!"

Silberlocke schluchzt weiter.

Holly (scheinbar gelangweilt): "Wie hat dies alles angefangen?"

Silberlocke schluckt hart.

Silberlocke (gebrochen, stockend): "Ich war ein Sexbesessener... und ich dachte, das kann es doch nicht sein, jeden Tag eine neue Ricke aufgabeln, um meine Gelüste zu befriedigen, was hat mir mein Leben noch zu bieten?"

Holly (jovial): "Gut, und weiter."

Silberlocke: "... ich kam per Zufall, als ich wieder mal in einer Suchmaschine "Sex + SM + Pics + Download" eingab, auf die Idee zu Heiraten!"

Holly (ermunternd): "Aha, was hast du dann gemacht?"

Silberlocke (trotzig): "...Nein!...Ich will nicht wieder alles erzählen! Warum muß ich immer wieder alles erzählen?!"

Silberlocke beginnt sich auf dem Boden zu rollen während vor der verschlossenen Tür Dobi und der mit Mitgefühl umherlaufende Zutz unter sich machen.

Holly droht mit erhobenem Zeigefinger.

Holly: "Naaaa! Was ist das letzte Mal passiert, als wir so unkontrolliert gewütet haben?

Silberlocke wird wieder klarer.

Silberlocke (wieder gefaßt): "....wir haben diesen Einlauf bekommen und dabei die vielen bunten Farben gesehen!"

Holly: "Genau. Und deshalb?"

Silberlocke: ".... erzähl ich dem lieben Holly alles!"

Holly: "Gut!"

Silberlocke: "...ja, nachdem ich also statt der üblichen Pussyzeigbildchen auf die Traumhochzeitseite gelangt war, sah ich mir dort die Storys an."

Holly (bohrend): "Das führte zu was?"

Silberlocke: "Zu einer.....Überreizung?"

Silberlocke starrt Holly erwartungsvoll wie ein kleiner Pudel, der seinem Herrchen den Tennisball wieder gebracht hat, an.

Holly: "Genau! Und warum?"

Silberlocke: "Weil dort alle geheiratet haben und ihre schönen Erlebnisse erzählt haben, wie toll doch die Ehe sei und das in einwandfreiem deutsch und ich konnte damals in der zweiten Klasse nicht mal das Alphabet rückwärts richtig aufsagen."

Holly: "Aber, aber! Das ist doch kein Grund zum Heulen! Viele Leute aus deiner Nachbarschaft können das Alphabet nicht mal vorwärts richtig aufsagen!"

Silberlocke (um Fassung ringend): "Oh...ja...gut, hähähä. Als ich sie dann sah, all die wunderbaren Stories von den vielen Leuten bei Traumhochzeit, und ich dann die schlimmste Offenbarungzeit meines Lebens hatte ..."

Silberlocke bricht schluchzend zusammen.

Holly: "Die da war?"

Silberlocke: "... Dass ich... dass...dass ich...nie...(schreit)... NIE ... ABER AUCH GAR NIE EINE SOLCHE BINDUNG EINGEHEN KÖNNTE..."

Holly macht auf seinem DINA3-Board ein Kreuz unter "Erkenntnissfähig".

Silberlocke (flüsternd): "... ja... und dann, als ich wußte, daß ich nicht zum Ehelichen geboren war, wurde mir erst spät klar, daß es ein Fehler gewesen ist, das Kollektiv damit zu konfrontieren. Selbst eine Berufsumschulung zum Schweinekeuler ist mir in den Sinn gekommen, nur um den Spott zu entgehen."

Holly (energisch): "Na, na, na! Jetzt brauchst du dir ja keine Sorgen mehr zu machen! Jetzt bist du ja in der sanften Hand der Pflegeabteilung!"

Silberlocke nickt.

Silberlocke (an einem Anflug von Wahnsinn): "Genau, Hihihi. (Sanft, Hahaaa)"

Holly: "Und wie ging es weiter?"

Silberlocke: "Ich erzählte dem Kollektiv von meiner Auserwählten, welches seitdem versucht mich zu binden, nur um mal wieder frei Kost zu bekommem und sich einen hinter die Binde gießen zu können!"

Holly steht ob dieser böswilligen Unterstellung auf, eine Megafalte auf seiner Stirn, verläßt den Raum und schaut aus dem Winkel von exakt 27,3° seines linken Auges auf die nicht zu überzeugende, armselige Kreatur. Eine Augenbraue hebend, notiert er auf seinem DINA3-Board "Hoffnungslos", als Silberlocke schon langsam robbend sich zur Tastatur vorarbeitet, drückt Holly, leise kichernd und Dobi und Zutz beiseiteschiebend, den Bingo-Knopf auf seiner Fernbedienung.

Der Türspion erhellte kurz die gegenüberliegende Senfgelbverqualmte Wand ovalförmig grellblau, dann hörte man nur noch vereinzeltes Zischen im Raum, das von kurzen Wimmern unterbrochen wurde. Und da soll noch mal einer sagen, wir würden niemandem eine Chance geben, wir würden uns nicht aller annehmen, um aus jedem einem besseren Menschen zu machen.

Holly

To be continued....

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